Gleichberechtigter Zutritt für alle
Ist ein Gebäude nicht hindernisfrei, besteht in verschiedenen Kantonen die Pflicht zur Anpassung. Zusätzlich sind unter Umständen Individualanpassungen nötig. Das war auch in der Kantonsschule im Lee in Winterthur der Fall, nachdem sich ein Mädchen im Rollstuhl angemeldet hatte.
Schülerinnen und Schüler im Rollstuhl haben ebenso das Recht darauf, eine öffentliche Schule zu besuchen, wie andere Kinder und Jugendliche auch. Ist eine Schule nicht rollstuhlgängig, muss der Zugang zum Gebäude und die Mobilität innerhalb der Schule gemäss kantonalen gesetzlichen Anforderungen hergestellt, und bei Bedarf zusätzlich mit Individualanpassungen ermöglicht werden. Auch für Menschen mit Seh- und Hörbehinderung sind allenfalls Anpassungen nötig, allerdings meist in einem kleineren Rahmen.
Was heisst das konkret? Die Umsetzung des Behindertengesetzes (BehiG) liegt im Auftrag der Kantone und wird entsprechend unterschiedlich gehandhabt. Das Zürcher Planungs- und Baugesetz PBG sagt im Sinne der Kantonsverfassung dazu folgendes: «Wer öffentliche Aufgaben erfüllt, stellt unabhängig von einem bewilligungspflichtigen Umbau oder Sanierungsvorhaben sicher, dass die öffentlich genutzten Bauten und Anlagen für Menschen mit Behinderungen zugänglich und benützbar sind». Die Umsetzungsfrist gemäss Kantonsverfassung ist Ende 2010 abgelaufen, was aber nicht heisst, dass alle öffentlichen Gebäude im Kanton Zürich bereits vollständig hindernisfrei sind.
Wirtschaftlich zumutbare Massnahmen
Architekt Roland Bick von der BKZ Bauberatung (Behindertenkonferenz Kanton Zürich) erklärt: «Wir werden aufgeboten, um Gebäude zu beurteilen und zu beraten, mit welchen Massnahmen ein Gebäude hindernisfrei zugänglich gemacht werden kann.» Das war beispielsweise bei der denkmalgeschützten Kantonsschule im Lee in Winterthur der Fall. Die BKZ Bauberatung hat 2009 eine erste Begehung gemacht und erforderliche Anpassungen im Rahmen der Kantonsverfassung aufgezeigt.
«2014 habe ich im Auftrag des Kantons eine zweite Begehung vorgenommen – diesmal im Hinblick auf eine Schülerin im Rollstuhl, die für das kommende Schuljahr angemeldet war und vor dem Hintergrund, dass im 2019 eine umfassende Sanierung in Angriff genommen wird», erklärt Roland Bick. «Das heisst, wir mussten bei der zweiten Begehung viel mehr ins Detail gehen, um die Schule für das betreffende Mädchen im Rollstuhl zugänglich zu machen.»
Für die Kosten muss in diesem Fall die Bauherrin, also der Kanton, aufkommen und nur für individuelle, nicht im Pflichtprogramm der Kantonsverfassung enthaltene Anpassungen, leistet die IV unter Umständen einen Beitrag. Die Kantonsverfassung sagt aber auch: «Entsprechende Massnahmen müssen wirtschaftlich zumutbar sein.» «Die Anforderungen in Bezug auf Hindernisfreiheit sollen die Obergrenze von fünf Prozent des Gebäudeversicherungswertes in der Regel nicht überschreiten», erklärt Roland Bick hierzu und verfasst deshalb jeweils Massnahmen erster und zweiter Priorität.
Individuelle Anpassungen in der Kantonsschule im Lee
Rollstuhl-WC: Das vorhandene Rollstuhl-WC wurde gemäss SIA-Norm 500 angepasst. Damit die Schülerin die Toilette benutzen konnte, waren zusätzlich individuelle Massnahmen nötig. Es wurde beispielsweise ein WC-Aufsatz mit Fernbedienung (ähnlich einem Closomat) angebracht.
Die Schülerin ist aus hygienischen Gründen – wie die meisten Rollstuhlfahrenden übrigens – auf ein äusserst sauberes WC angewiesen. «Menschen im Rollstuhl verwenden meistens einen Katheter und haben erhöhte Ansprüche an die Hygiene, auch weil die Infektionsgefahr grösser ist», erklärt Roland Bick. Dieser Anspruch wird oft mit der alleinigen Nutzung einer Toilette für Rollstuhlfahrende gewährleistet. Da sich im Schulhaus im Lee keine anderen Toiletten in unmittelbarer Nähe befinden, durfte das Rollstuhl-WC ausnahmsweise auch von anderen Schülerinnen benutzt werden. Mit einer regelmässigeren und zusätzlichen Reinigung des Rollstuhl-WCs ist man den erhöhten Hygieneanforderungen nachgekommen. Es gibt keine gesetzlichen Forderungen, die die Nutzung eines Rollstuhl-WCs regeln. Grundsätzlich gilt: «Ein rollstuhlgerechtes WC sollte offen sein, weil es bei längerer Nichtbenutzung häufig zu einem Abstellraum umfunktioniert wird und bei Bedarf dann gar nicht mehr zur Verfügung steht.» Das gilt vor allem dann, wenn die Toilette nicht regelmässig von einer betroffenen Person benutzt wird.
Treppenlift: Der vorhandene Vertikallift bedient die oberen Stockwerke, nicht aber das Untergeschoss, wo die Mensa untergebracht ist. Der Zugang zur Mensa war nur über einen längeren Aussenweg möglich. «Es gab zwar einen alternativen Essbereich. Für einen gleichberechtigten Zugang zur Mensa, ohne langen Umweg, war mangels Alternativen ein Treppenlift notwendig», sagt Roland Bick und betont: «Treppenlifte sind aber immer die schlechteste aller Lösungen.»
Der Grund: Eine selbstständige Nutzung ist oft nicht möglich. Ausserdem sind Treppenlifte aufwändig im Unterhalt, reparatur- und störungsanfällig. «Wo Rampen nicht möglich sind, sind Hebebühnen oder Aufzüge die bessere Alternative. Diese kann der Hauswart auch gut für eigene Zwecke nutzen. Die Schülerin ist dann auch prompt bei der erstmaligen Nutzung mit dem Lift stecken geblieben und hat ihn nachher nie mehr benutzt, sondern den Umweg über den Aussenbereich bevorzugt.»
Schulzimmer und Pult: Die Schwellen zum Gebäude und in das Schulzimmer des Mädchens wurden mit Schwellenkeilen bedingt rollstuhlgängig gemacht (Schwellenkeile sind nur eine Notlösung für bestehende Gebäude; korrekt wäre eine Schwellen-Absenkung). Einen mit dem Rollstuhl unterfahrbaren Tisch hat die Schülerin selber mitgebracht.
Haupteingang: Die Eingangstüre war zu schwer in der Bedienung. Grundsätzlich gilt, dass die Türbedienkraft gemäss SIA Norm 500 maximal 30 Newton betragen darf. Da neben der Türe keine seitliche Freifläche vorhanden war, hat man die Türe automatisiert. Auch hilfreich in gewissen Fällen: Ein Gleitschienentürschliesser, der den Kraftaufwand für die Türbedienung minimiert.
Gleichberechtigter Zutritt für alle – diese Forderung gilt gemäss BehiG und Züricher Kantonsverfassung für alle öffentlichen Gebäude und Anlagen im Kanton Zürich. «Dies ermöglicht allen einen gleichberechtigten Zugang und ist die Grundlage für individuelle Anpassungen für eine betroffene Person in einer Schule oder am Arbeitsplatz», weiss Roland Bick. «In Schulanlagen braucht es individuelle Anpassungen allerdings eher selten, weil die gesetzlichen Grundlagen die nötigen Anpassungen grösstenteils einfordern. Die BKZ Bauberatung wird deshalb vielmehr für individuelle Anpassungen im Wohnungsbau zu Rate gezogen.» Der Kantonsschule im Lee steht dieses Jahr eine grosse Sanierung bevor. Der Umbau startet im Sommer und dauert zwei Jahre. Im Rahmen dieser Generalüberholung wird auch die Hindernisfreiheit gemäss SIA-Norm 500 in allen Bereichen umgesetzt.
Autorin: Sabine Born, Up